Bern bewegt (2012) – kommentiert

Schon einmal hier gepostet. Nun aber mit meinem direkten Kommentar, und damit mit einem
Einblick in meine Interpretation der Bilderreihe.

Ich empfehle von Beginn weg das Stück “Bolero” von Maurice Ravel laufen zu lassen.
Für die ersten drei Bilder sind das je 5 Minuten Musik. Der Höhepunkt liegt beim
dritten Bild. Danach würde in meiner Interpretation ein Decrescendo einsetzen und
bis zum fünften Bild wieder die Ausgangsdynamik einsetzen.

Ich verstehe die Bilder als “Buch”, als Gesamtwerk, auch wenn ich selber jedem Bild
gerne als Individuum begegne. Ganz so wie ein Kapitel einer Geschichte für sich gelesen werden sollte,
um dann zum Teil der ganzen Geschichte zu werden.

So lese ich eure Interpretationen und Gewichtungen sehr gerne.
Sie lassen mich meine Geschichte ergänzen, re-interpretieren.



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Das erste Bild ist mein Einstieg und Abschied in der Geschichte.
Ohne Abschied kann es am Schluss keine Ankunft geben.
Abschied aus einer Welt die ich noch kenne, an der ich noch Details fixiere und benenne.
Es ist auch der Abschied von dem Gedanken-zentrierten Erleben.
Es ist nicht die Bewegung der Fahrt, die verschwimmen lässt,
sondern viel mehr der Beginn des Loslassens.
Immer mehr zieht sich der Blick aus dem Heute, aus dem Alltag,
den Plänen und Vorgaben des “normalen” Lebens zurück und
entschwindet in eine Welt des (kindlichen) Staunens.
Einfach Dinge ziehen lassen, wie die Wolken am Himmel,
Augenblicke einfach aus sich heraus leuchten lassen.




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Das zweite Bild enthält noch die kühle Basis der Ratio, wird aber schon verzaubert
von den fliegenden Lichtern. Gedanken lassen ihre punktuelle Wirkung gehen und
werden zu Vektoren durch Raum und Zeit.
(Die Lichtstriche in der Tiefe sind keine Spiegelungen sondern kommen von Lampen
die über einem mehrspurigen Güterbahnhofs-Bereich hängen).




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Das dritte Bild wird zur sinnlichen, ja vielleicht ekstatischen Erfahrung.
Lust am Sehen, Eindrücke von sensueller Intensität, wie ich sie sonst eher nach
ganz langen Fotoworkshops erfahren habe. Gestern und Morgen sind bedeutungslos.
Formen erscheinen zwar auf dem Bild, aber nicht in der Wahrnehmung vor Ort.
Hier muss jede bildliche Form komplett inadäquat sein und bleiben.
Zumindest wenn sie alleine auftritt.
Im Verlaufe des Bildes 3 gelangen wir zur Schlussphase des Stücks Bolero.




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Das 4. Bild ist der Übergang zurück. Im Hintergrund ziehen die Lichter, Töne und Gefühle
wie eine Kulisse vorbei, sind noch gross und stark aber schon etwas ferner,
denn da ist das Signal: hier lang. Hier gehts zurück zum Alltag.
Das Schild wirkt für mich wie der Wecker mitten in einem Lusttraum.
Erst zögerlich dringt es ein, aber irgendwann ist es das einzige, was noch Bestand hat
und es drängt zum Verlassen der unbeschreiblichen Sphäre, zum Wiedereintritt in das,
was im Bild 1 noch da war. Das Leuchten am Horizont ist noch Bote dessen,
was war, die Türme und Bauten, die Fragemente der Lichter ziehen noch, aber ich,
ich bin schon aus diesem Fluss heraus gelöst, nein, herausgerissen worden. Das
Schild wirkt.




So ist Bild 5 noch im Geiste des Loslassens, aber schon im Bewusstsein, dass es nun eine Ankunft gibt.
Eine Ankunft zurück in einer Welt, die die Lust am Moment zum grössten Teil verloren hat.

Einen schönen Montag…